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Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 2011)

Verfasst: 09.02.2011, 20:36
von Christian
Ein neuer Versuch: In der Top Ten der besten Christies aller Zeiten steht sowohl bei John Curran als auch bei Laura Thompson dieser Roman auf Platz 1. Normans Londoner Book club (Ideengeber für diesen virtuellen Versuch) dagegen fand dieses Werk der Queen of Crime nicht überragend.

Was denkt der Virtual Book Club über diesen - etwas ungewöhnlichen - Murder in retrospect?

Da der Februar so superkurz ist, freue ich mich über eure Meinungen ab dem 5. März! Gerne auch Kommentare zu dem Film, den Christie-Experte John Curran, fünfmal gesehen hat.

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 10.02.2011, 23:53
von ragnarjo
Hallo. Five Little Pigs - ein sehr gutes Buch! Glauben sie, dass Agatha hat das Buch, teilweise, auf ihr eigen Leben basiert, wie Charles Osbourne diskutiert hat? (Entschuldige mein armen Deutsch!)

mit freundlichen gruessen
Ragnar Jonasson, Reykjavik, Island

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 11.02.2011, 16:28
von abcmurderer
Der Roman gehört definitiv zu meinen Favoriten. Er gehört zu den Büchern, die auch die formale Vielgestaltigkeit im Werk der Autorin dokumentieren.

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 11.02.2011, 16:37
von abcmurderer
Ach übrigens... "Five Little Pigs" erschien 1941 auch als 10teilige Fortsetzung in Collier's Weekly (Titel: "Murder in Retrospect"). Dazu hat Mario Cooper Zeichungen gemacht, von denen man eine auf der folgenden Webseite ansehen kann http://www.americanartarchives.com/cooper,m.htm
(wirkt sehr dramatisch :)

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 11.02.2011, 18:18
von Christian
Herzlich willkommen im Forum, Ragnar!
Da Ragnar sich in seiner Bescheidenheit nicht selbst vorgestellt hat, will ich das in aller Kürze tun: Ragnar hat eine der ersten Agatha Christie Seiten im Netz begründet (http://www.simnet.is/jonasson/agatha/) und ist der offizielle Übersetzer ins Isländische. Außerdem verfasst er selber Kriminalromane. Seine Roman "Snowblind" erscheint im Herbst auch auf Deutsch.

Parallelen zu Christies Leben sind mir eigentlich nicht aufgefallen. Ich muss mal gleich gucken, was Osborne schreibt. Die eigentliche Diskussion des Romans wollen wir - wie gesagt - am 5. März beginnen - damit jeder Gelegenheit hat, den Roman zu lesen oder sich wieder mit ihm vertraut zu machen.

Dear Ragnar,
thank you for drawing the attention to Charles Osborne's opion on "Five little pigs". We'll start the discussion on the novel on March, 5th. to give everybody plenty of time to read / re-read the book.

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 13.02.2011, 07:42
von MissLemon
Schöne Idee! Werde gleich heute anfangen, das Buch noch einmal zu lesen. Und ich werde mir dieses Mal auf jeden Fall etwas von meiner knappen Zeit abknapsen, um Euch hier meine Eindrücke mitzuteilen. :-)

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 07.03.2011, 21:19
von Christian
Na, alle noch vom Buch gebannt? Man hört nichts von euch. Dann will ich mal beginnen. Der Roman zeichnet sich durch sehr gute Charakterzeichnungen aus, die Figuren wirken sehr authentisch, was nicht immer bei Christie der Fall ist. Die Rückblicke der fünf Verdächtigen auf die tragischen Ereignisse haben für meinen Geschmack zum Teil allerdings gewisse Längen. Charles Osborne lobt in "The life and times of Agatha Christie" die feinen Charakter-Darstellungen (insbesondere die überzeugende Persönlichkeit des Opfers Amyas Crale) und spricht von einer "ungewöhnliche psychologischen Tiefe und Komplexität" des Romans. Five little pigs sei ein exzellenter Roman und daneben auch ein Krimi erster Güte. Osborne bemängelt nur die Verwendung des Kinderreims "Fünf kleine Schweine". Selbst dagegen erhebt John Curran aber keine Einwände. In seinen "Secret notebooks" meint er vielmehr, diesmal habe die Queen of Crime mit großem Erfolg Kinderreime aufgegriffen.
Greenway House dient als Kulisse für den Roman. Osborne (wie Ragnar schon schrieb) geht sogar noch weiter und meint, Christie habe auch Ereignisse aus ihrem Leben verwendet. Die tragischen Ereignisse, die das Buch beschreibe, spielten 1926, dem Jahr ihres mysteriösen Verschwinden. Amyas Crale, der untreue Ehemann, habe dieselben Initialen wie Archie Christie. In dem Roman, so schreibt Osborne, denkt Caroline Crale daran, sich zu vergiften: "I had received a bad shock. My husband was proposing to leave me for another woman. If that was so, I didn't want to live." Für mich ist das zu spekulativ. Wohl kannte Christie den Schmerz, vom Ehemann verlassen zu werden. Aber Crale hatte - im Gegensatz zu Archie- schon viele Affären - und - wie wir am Ende erfahren - wollte doch nicht seine Ehefrau verlassen (ein Entschluss, den er mit dem Leben bezahlen musste).
Ungewöhnlich der Schluss des Romans. Es bleibt offen, ob Elsa für den Mord vor Gericht gestellt und verurteilt wird. Normalerweise wird am Ende eines Christie-Romans Ordnung und Gerechtigkeit wieder hergestellt, indem der Schuldige überführt und seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Überzeugend arbeitet Christie am Ende ihres Romans aber heraus, dass Elsa schon bestraft ist. Ihre Vitalität, ihre Lebensfreude hat sie mit der Mordtat verloren. Sie ist nur noch eine welke Hülle und nicht mehr die Lebenskraft ausstrahlende Frau, die Amyas Crale auf die Leinwand gebannt hatte.
Die Verfilmung aus dem Jahr 2003 ist auch sehr gelungen, das Buch ist adäquat umgesetzt. Auch wenn Drehbuchautor Elyot sich eine kleine Freiheit herausnimmt, indem er den Hass Philip Blakes auf Caroline damit begründet, dass er seinen besten Freund Amyas liebt. Während im Roman Amyas sich von seiner Jugendliebe Caroline zurückgesetzt fühlt, weil diese Amyas und nicht ihn liebt. Dennoch hat für mich der Film auch Schwächen, Aidan Gillen kann als charismatischer und von der Kunst besessener Amyas Crale nicht überzeugen und Julie Cox (Elsa Gray) fehlt das gewisse Etwas, das sie im Roman zweifellos besaß.
David Suchet scheint den Roman auch zu mögen. "A very good book", meinte er, als er für mich das Buch (neben der Unterschrift von Mathew Prichard) signierte.
Agatha Christie machte aus dem Buch noch ein Theaterstück (allerdings strich sie dabei die Rolle des Poirot). Das Stück (1960 uraufgeführt) war kein großer Erfolg.

Re: Five little pigs / Das unvollendete Bildnis (Februar 201

Verfasst: 08.03.2011, 22:07
von abcmurderer
"It's psychology that interests you, isn't it?" Carla Lemarchant zu Poirot. Und auch auf der Seite der Leser scheiden sich an diesem Punkt die Geister. Für Freunde "richtiger Action", die den Leser atemlos vor sich hertreibt, ist dieses Buch nicht geeignet. Ansonsten aber ein uneingeschränkt empfehlenswert! Es gibt Bücher von AC, da habe ich mich richtig gelangweilt (ja,ja), "Five Little Pigs" gehört sicher nicht dazu. Es ist ein psychologisch fein gewobenes Buch, ein Buch über die Erinnerung, über den Einfluss, den die Beziehungschemie der Charactere auf sie hat. Vom literarischen Gesichtspunkt eines der besten Bücher von AC.

AC hat sicher biographisches in ihren Roman einfließen lassen. Ich glaube nicht, Christian, dass man allzu sehr spekulieren muss, dafür sind die Hinweise einfach zu zahlreich. Doch "so what"? Für den Leser hat das, so glaube ich, keine allzu große Bedeutung.

In der erwähnten Verfilmung (sehr gelungen) hat man den Mord 14 Jahre zurückverlegt, nicht 16 wie im Buch. Warum? Es gibt auch einen Satz im Gespräch mit Carla Lemarchant, den man im Drehbuch (oder beim Schneiden?) weggelassen hat, den ich aber gerne dringelassen hätte. Als Poirot darauf hinweist, dass die Ereignisse 16 Jahre zurückliegen, antwortet Carla: "Oh! of course it's going to be difficult! Nobody but you could do it!" Hier trifft sie ihn (bewusst oder nicht, "weibliche Intuition"?) ins Herz seiner Eitelkeit. Jetzt kann er fast nicht mehr anders, er muss sich der Sache annehmen :)