Wer ist R.A.B.? Ein Ausblick auf Harry Potter 7
Bald wird der siebte und abschließende Band der Serie über den Zaubererzögling Harry Potter erschienen sein. Erst dann zeigt sich endgültig, wo alle Handlungsfäden zusammenlaufen. Von unserem Korrespondenten des "Quibbler" erreichte uns eine Pressemitteilung, die eigentlich erst im Jahr 2008 hätte erscheinen sollen. Ein Ausblick auf Harry Potter 7, der einige vergessene Elemente noch einmal ans Tageslicht befördert und zum Nachdenken anregt...
Der letzte Saal des Riesenbaus ist geöffnet worden. Der finale, langersehnte Band ist erschienen, die Septologie ist beendet, der größte Bucherfolg in der Geschichte hat seinen Höhepunkt und Abschluß gefunden. "Harry Potter and the Half-Blood Prince" liegt seit nunmehr einer Woche in den Buchhandlungen und schlägt den Rezensenten in aller Welt die Nacht um die Ohren.
Womit soll man beginnen? Der erste Eindruck ist stark. Verglichen mit der trotz grausiger Szenen fast heiteren Stimmung, die über dem sechsten Band lag, ist dieser sehr viel dickere siebte wieder stark verdüstert. Kein Wunder, der beruhigende Schulalltag fällt weg, Harry Potter geht nicht mehr aufs Zaubererinternat Hogwarts und muß sich allein durchschlagen; am Ende herrscht Krieg, der auch die Muggel-Welt nicht verschont. Die gute Nachricht ist: Jede offene Frage findet ihre Antwort. Es ist äußerst befriedigend zu sehen, wie bei dieser gigantesken Maschinerie ein Bolzen nach dem andern mit einem sanften Klick einrastet - nur manchmal begleitet den sanften Klick auch ein kleiner knirschender Ruck. Joanne K. Rowling hat nichts vergessen: nicht das Verräter anzeigende Spickoskop - und einen Verräter gibt es, sonst flöge der geheime Versammlungsort der Phönix-Ordens nicht auf -; nicht den abgründigen Sog des Unterwassermotivs; nicht die ägyptischen Pyramidengräber mit ihren zweiköpfigen Skeletten. Wie praktisch übrigens, daß im letzten Band alle das Apparieren gelernt haben, das erleichtert die großen Reisen und Schauplatzwechsel.
Wurmschwanz hinter der Kulisse
Das Skelett der Handlung, wenn wir schon dabei sind, ist zwar mehrköpfig, aber dennoch ziemlich rasch beschrieben. Es ist eine Art höherer Schnitzeljagd nach Voldemorts Horcrux-Verstecken, den Gegenständen also, in denen der Dunkle Lord zur Sicherung seiner Unsterblichkeit Teile seiner Seele zur magischen Konservierung hinterläßt. Ein Horcrux aus der Reihe ist bedauerlicherweise kein Gegenstand, sondern eine Riesenschlange... Erst wenn sie alle aufgespürt und zerstört sind, hat Harry Potter im finalen Duell wenigstens eine Chance, gegen den sterblich gewordenen Fürsten der Finsternis zu bestehen.
Wenn wir über dieses Finale auch nicht allzuviel ausplaudern wollen - geschweige denn den Nekrolog verlesen -, so dürfen wir doch mit einem Leuchtstab die Köpfe einzelner Figuren hervorheben. Draco Malfoy - man hätte ahnen können, daß Harrys Gegenspieler doch noch (wenn auch nicht für lange) die Seite wechselt; schließlich zitterte sein auf Dumbledore gerichteter Zauberstab schon am Ende des sechsten Bandes bedenklich. Entzückende Neuigkeiten gibt es über Harrys Zieheltern, die schrecklichen Dursleys, die sich beim Lästern über die Zauberer besser etwas zurückgehalten hätten. Die Sherrynase Sybill Trelawney, Professorin für Wahrsagekunst, die im sechsten Band schon wieder eine verwaschene, aber im wesentlichen korrekte Prophezeiung ausgesprochen hatte, erweist auch im Finalband ihre schwankenden Fähigkeiten. Neville Longbottom, der im letzten Band taktisch totgeschwiegen wurde, steigt endgültig von der Rand- zur Hauptfigur auf. Endgültig enthüllt wird nicht des Pudels, aber der Katzen Kern; im Falle vom Mrs. Norris, der sensitiven Katze des Hausmeisters Argus Filch, noch harmlos; nicht ganz so bei Hermines gelbäugigem und allwissenden Kater Krummbein. Auch die Riesen und Drachen kommen zu ihrem lange vorbereiteten Einsatz, zu schweigen von den Meermenschen und den mächtigen Hauselfen - ein Glück, daß Hermine sich früher so eifrig um sie bemüht hat! Das Romanpersonal, inzwischen auf Hundertschaften angewachsen, ist zwar kaum noch zu bändigen, aber ihren schönsten Herzgewächsen bleibt die Autorin treu. Besonders charmant das Adieu der Maulenden Myrte; eine der vielen unvergeßlichen Nebenfiguren, denen sie in diesem Abschiedsband mit Küßchen ein letztes Fest bereitet.
Ein düsteres Fest, was die Familien betrifft. Wir ahnten es immer, jetzt sehen wir ihn, den Abgrund, der sich hinter Harry und seinem Vater auftut. Und wir erfahren, was seine Mutter Lily mit der mythischen Lilith verknüpft, die sie im Namen anklingen läßt. Eltern und Geschwister sind das Urthema der Potter-Saga. In diesem letzten Band treten die Brüder aus der Kulisse. Der ungeschlachte Riese Grawp, Halbbruder des Waldhüters Hagrid, hat durch dessen Erziehung immerhin so viel Schliff bekommen, daß er sich im Kampf gegen Voldemort nützlich machen kann. Auch die Weasley-Brüder Fred und George enttäuschen nicht mit ihrem Arsenal an magischen Scherzartikeln. Bei Rons Bruder Ben blieb der Werwolfbiß aus Band VI leider doch nicht ohne Folgen - leider respektive Gott sei Dank. Der wichtigste Bruder, natürlich, ist der Bruder Dumbledores, dem plötzlich eine Schlüsselrolle zufällt.
Blut bleibt ein ganz besondrer Saft, aber er bindet nicht immer. Viel mehr verbindet ein Akt der Gnade, wie Harry ihn im dritten Band geübt hat. Dort hat er dem Verräter Wurmschwanz trotz berechtigtem Zorn das Leben geschenkt. Schon damals hatte Dumbledore ihm vorausgesagt, daß dadurch ein magisches Band entstünde; ein wie festes, darf Harry Potter erleben, als er keinen Ausweg mehr sieht.
Dumbledore in neuem Licht
Sublim und etwas schockierend, was Rowling endlich über das Vorleben Albus Dumbledores enthüllt. Endlich erfahren wir auch den wahren Grund seines Vertrauens in Professor Severus Snape - mit der Erklärung aus dem letzten Band hätte sich ja nicht einmal der schlichteste Hufflepuff abspeisen lassen. Angeblich habe Snape tiefstes Bedauern darüber geheuchelt, daß er unwissentlich zur Ermordung von Harrys Eltern beigetragen hat, und angeblich sei Dumbledore auf seine Krokodilstränen hereingefallen. Wie fadenscheinig! Wer konnte ernsthaft glauben, daß diese Meisterin der Finte und des Wronski-Bluffs einen Charakter, der wie ein besonders fieser Knochen wirkt, einführen würde, nur um am Ende mit der Sensation aufzuwarten, daß er ein besonders fieser Knochen ist? Wir wollen nicht behaupten, schon damals geahnt zu haben, wie ingeniös Rowling das selbstgestellte Problem jetzt gelöst hat - im sechsten Band sprachen ja alle Anzeichen im Chor gegen Snape. Spätere Exegeten mögen darüber streiten, ob sich in seiner Silhouette nicht der Schatten des Judas Ischariot verbirgt - des Judas, der mit Jesus im geheimen Einverständnis handelt und den Heilsweg erst eröffnet. Jedenfalls hatte Snape ganz recht, sich über Harrys Vorwurf der Feigheit zu echauffieren; feige ist gewiß nicht, was er tat.
Und feige war auch Dumbledore nicht; das nicht. Potterianer hatten nicht vergessen, daß seine Augen im vierten Band für einen Moment triumphierend aufblitzen, als er davon erfährt, daß Voldemort durch die Zufuhr von Harrys Blut gestärkt worden, ja daß sogar der magische Schutz von Harrys Mutter auf ihn übergangen sei. Prächtige Nachrichten waren das nicht, wenn man den Todfeind reanimiert sieht, und dennoch dieses Aufblitzen des Triumphs... Auch daß die Feder in Voldemorts Zauberstab ausgerechnet aus dem Phönix Dumbledores stammt, blieb ein Rätsel für sich - was verschaffte dem dunklen Lord die Ehre? Im sechsten Band schließlich hatten sich die zarten Hinweise gehäuft, die sich jetzt im siebten zusammenschließen.
Zu leicht hatte man im "Half-Blood Prince" überlesen, daß Dumbledore ausdrücklich darum bittet, getötet zu werden. "Kill me!" flehte dort der größte weiße Magier unter dem Einfluß des Voldemortschen Tranks, den Harry ihm auf dem Felsen im schwarzen See einflößen muß. Nicht Harry, sondern Snape erfüllte die Bitte zeitverzögert. Und noch etwas anderes war Dumbledore unter dem Einfluß des Zaubersuds über die Lippen gerutscht. Dreimal hintereinander klagt er sich an (und doch haben wir es überlesen): Alles sei sein Fehler, er wisse, daß er falsch gehandelt habe. Erst im Rückblick wird klar, wie raffiniert Rowling damit den Hauptplot des Finales vorbereitet hat.
Wer sich hinter R.A.B. verbirgt
Allzu viel soll nun nicht vorweggenommen werden; ein Plotknoten aber sei doch schon enthüllt. Der 2005 erschienene sechste Band "Harry Potter and the Half-Blood Prince" endet bekanntlich mit einem weiteren ungelösten Rätsel. Harry Potter beugt sich über die Leiche Dumbledores. Da fällt ihm aus dessen Tasche das Amulett entgegen, das sie wenige Stunden zuvor unter nicht ganz einfachen Umständen entwendet haben. Das Medaillon ist nicht nur ein unbezahlbares Souvenir aus dem Besitz des schwarzmagischen Urahnen Salazar Slytherins. Es ist vor allem ein Horcrux, das erste der Reihe, die den Unaussprechlichen das Überleben sichert. Aber wie, muß Harry entdecken, auf dem Amulett ist ja gar kein S eingraviert, und es ist auch viel kleiner als das echte! Sie sind auf eine Vertauschung hereingefallen und haben ein falsches Amulett aus dem Kelch gefischt; der Horcrux ist gar keiner, Dumbledore hat für nichts und wieder nichts den schrecklichen Zaubersaft hinuntergewürgt!
Immerhin enthält das falsche Amulett ein altes gefaltetes Stück Pergament. Es ist ein Schreiben, adressiert an den Dunklen Lord. Er, der Unterzeichnete, wisse, daß er tot sein werde, lange bevor der Lord dies lese. Er wolle ihn aber wissen lassen, daß er es war, der sein Geheimnis entdeckte. Er habe den echten Horcrux gestohlen und plane, ihn baldmöglichst zu zerstören. Dem Tod blicke er in der Hoffnung entgegen, der Dunkle Lord werde, wenn er auf seinen Pair treffe, wieder sterblich geworden sein. - Gezeichnet: "R.A.B."
Weder Harry noch selbst Hermine haben die geringste Ahnung, wer sich hinter diesem Kürzel verbergen könnte. Wie wir jetzt sehen, enthält es schon einen Hauptknoten des finalen Plots. Wer sich die Spannung nicht verderben lassen und es in den nächsten Tagen lieber selbst nachlesen will, möge den folgenden Absatz bitte überblättern.
Geschürzt wurde der Knoten schon im fünften Band "Order of the Phoenix". In einer besonders unauffälligen Szene erläutert dort Harrys Pate Sirius Black seinen Stammbaum. Beiläufig, allzu beiläufig, erfahren wir, daß er einen jüngeren Bruder hatte, der für kurze Zeit auf der Seite Voldemorts und der Todesser stand. Im sechsten Band blitzte der Name dieses Bruders nur zweimal kurz durchs Bild (typisch für die Motivtechnik Rowlings, die gern die wichtigsten Motive ein, zwei Bände lang in Scheinstarre verfallen läßt, um sie dann ebenso plötzlich wieder zum Leben zu erwecken wie die Armee der Untoten, die im "Half-Blood Prince" versuchen, Harry Potter auf den Grund des Sees zu ziehen.) Schon beim fünften Band konnte man sich fragen, warum wir zu dieser späten Stunde über einen bis dahin unbekannten Bruder Sirius Blacks unterrichtet werden sollten, wenn ihm nicht noch große Auftritte bevorstünden. Sein Bruder, teilte Sirius damals mit, sei zwar zunächst Todesser gewesen, dann aber über einen bestimmten Auftrag Voldemorts in Panik geraten. Da die Todesser kein Club sind, aus dem man nach Belieben austreten kann, schien sein Schicksal besiegelt und seine Beseitigung durch Voldemort nur eine Frage der Zeit.
Wie wir jetzt wissen, war er davor aber nicht faul. Der Diebstahl des Seelen-Amuletts und die sich daraus entspinnende Intrige geht auf die Rechnung von Sirius' Bruder Regulus. Das Namenskürzel R.A.B. im "Half-Blood Prince" stand für Regulus Alphard Black. Regulus' zweiter Vorname verdankt sich dem Onkel Alphard Black - auch bei Zauberern hält man auf Familientradition und vergibt an den Nachwuchs gern Onkel- oder Tantennamen. Außerdem waren Zauberer schon immer gute Astrologen, und nicht nur Sirius ist der Name eines Sterns; der Fixstern Alphard aus dem Sternbild Hydra (der Wasserschlange, siehe das Wahrzeichen Slytherins) liegt südwestlich des heller leuchtenden Regulus.
Das Nachleben dieser Sternen-Brüder bestimmt einen der Hauptstränge dieses finalen Bandes. Wie es Harry die Schnitzeljagd nach den Horcrux erleichtert (er hat das Stammhaus der Grimms, in dem ein verschlossenes Zimmer seiner Öffnung harrte, von Sirius geerbt); wie es mit den verzauberten Katzen und Harrys ominösen Vermögen zusammenhängt, wie mit seinem Vater James und der Mutter Lilith, und wie mit der Ur-Schuld und der Klammer, die die Liebe mit dem Tod verhakt - das alles lese man lieber selber nach. Rowling hat im letzten Saal ihres Zauberbaus genügend Wunderkammern reserviert, die auch ein Präzisionsprophet nicht hätte durchleuchten können.
Lest euch das mal durch das gibt viele Antworten auch wenn si manchmal noch ein bisschen schleierhaft sind